Eine doppelte Entdeckung
Vor beinah 50 Jahren entdeckten Richard Plackinger und das Team der vor- und frühgeschichtlichen Arbeitsgruppe zwischen Dietesheim und Steinheim nahe der heutigen Mainschleuse eine runde Steinplatte mit etwa 20 Zentimetern Durchmesser. In ihrer Gestalt glich sie einer klassischen Öllampe, wie sie früher mit Tierfetten als Brennmaterialien und Dochten aus Tierfellen oder verschiedenen pflanzlichen Materialien gefertigt waren. Beinah 40 Jahre glaubte die Arbeitsgruppe, eine Öllampe aus der letzten Eiszeit in den Funden des Mühlheimer Stadtmuseums zu lagern, bis 2023 die dänische Universität Aarhus Kontakt aufnahm.
Professor Felix Riede wollte bei einer Nachgrabung eine Sedimentschicht datieren und bat, die vermeintliche Öllampe aus dem Stadtmuseum mit den neuesten Analysemethoden zusätzlich untersuchen zu dürfen. Man stellte ihm das Exponat zur Verfügung und erhielt kurz darauf einen Anruf.
„Haben Sie mit Kugelschreiber oder blauer Tinte etwas auf den Stein geschrieben?“
Natürlich hatte das Team das nicht getan und so setzte Professor Riede moderne Analyseverfahren ein, um die teils mikroskopisch kleinen blauen Farbpartikel zu untersuchen. Die Laboruntersuchungen identifizierten die Partikel als Azurit. Wie es scheint, wurde es vor rund 13.000 Jahren zermahlen und zur Herstellung von Farbe genutzt, wahrscheinlich als Schminke oder zur Bemalung von Gegenständen. Damit handelt es sich um das älteste Blau, das bislang in Europa nachgewiesen wurde. Vergleichbare Pigmente sind ansonsten nur aus Funden in Sibirien bekannt.
Offiziell enthüllt wurde der Stein mit seiner neuen Identität am 11. November 2025 im Stadtmuseum Mühlheim von Bürgermeister Dr. Alexander Krey, Richard Plackinger und Peter Steffens vom Landesamt für Denkmalpflege. Die Pressemitteilung ist hier zu finden.
Ein weiterer Mosaikstein in der Menschheitsgeschichte
In der Fachwelt war die Erkenntnis, dass es sich bei dem Stein um eine Farbpalette mit Azuritblau handelte, eine kleine Sensation. Der Farbton, der in der Natur so selten vorkommt und von vielen Kulturen erst entdeckt werden musste, wurde in Europa also viel früher genutzt, als bisher angenommen.
Vergleichbare Funde aus der Zeit sind bisher nur aus Sibirien bekannt. Somit trägt Dietesheim durch die Sensationsentdeckung des ältesten Vorkommens der Farbe Blau in Europa einen weiteren ganz besonderen Mosaikstein zur Menschheitsgeschichte bei.
Zu dem bekannten Wissen um die Federmesserkultur, das den Entdeckungen aus der Region zu verdanken ist, liefert die Palette nun noch einen seltenen Einblick in die Nutzung farbiger Pigmente am Ende der Eiszeit. Ob zur Körperbemalung, zur Gestaltung von Figuren oder für rituelle Zwecke – die genaue Verwendung des blauen Azurits bleibt offen, doch der Fund unterstreicht die Kreativität und kulturelle Ausdruckskraft der damaligen Menschen.
Weitere Informationen finden Sie im Beitrag „Ältestes Blau Europas am Main entdeckt“ von National Geographic Deutschland, im Beitrag „Diese Pünktchen sind das vielleicht älteste Blau Europas“ von der hessenschau sowie in der Winterausgabe 2025 des Mühlheim Magazins.
Informationen zu Richard Plackinger und Hans-Jürgen Wagner sowie ihrer doppelten Radnadelverleihung finden Sie hier.